Rühren

Rühren

Rühren, verb. reg. welches in doppelter Gestalt üblich ist. I. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte haben, sich bewegen, beweget werden, wo es ehedem von verschiedenen Arten der Bewegung so wohl im eigentlichen als figürlichen Verstande gebraucht wurde. Daß es ehedem auch fließen bedeutet habe, erhellet noch aus Ruhr 3. Im gemeinen Leben wird röhren, welches eben dieses Wort ist, von dem Rieseln trockner Körper gebraucht. Besonders bedeutete es 1) entstehen, seinen Ursprung von etwas nehmen; wo es denn mit dem Lat. oriri überein kommt. Es ist in dieser Bedeutung nur noch in einigen Fällen üblich. Von jemanden zu Lehen rühren, im Lehenswesen, seinen Ursprung als ein Lehen von demselben haben. Außer welchem Falle es nur noch in dem zusammen gesetzten herrühren üblich ist. Alles dieses Unglück rühret von dir her. Der Verdruß rühret gemeiniglich daher, weil die Begebenheiten unsern Ideen entgegen stehen, Sulz. 2) Sich in die Länge bewegen, so fern sich die Bewegung bis an ein gewisses Ziel erstrecket. Die Leiter rührete mit der Spitze an den Himmel, 1 Mos. 28, 12. Das Schwert rührete bis in Himmel, Weish. 18, 16. Wofür man doch jetzt lieber das verwandte reichen gebraucht.

II. Als ein Activum oder vielmehr Factitivum, bewegen machen.

1. Überhaupt, für bewegen, wo es vermöge seiner Ableitung einen etwas stärkern Grad der Bewegung bezeichnet als regen. 1) Eigentlich. Der Vogelsteller rühret den Lockvogel, wenn er ihn vermittelst eines Fadens anziehet, damit er flattere, siehe Ruhrvogel. Am häufigsten gebraucht man es reciproce und von den Gliedern des Leibes. Sich nicht rühren können. Kein Glied rühren können. Weder Hand noch Fuß rühren können. Die Zunge nicht rühren können. Rühre dich, rühret euch, eine im gemeinen Leben übliche Antreibungsformel. 2) Figürlich, sanfte Gemüthsbewegungen hervor bringen, wo es von sanften Gemüthsbewegungen aller Art gebraucht wird. Jemanden rühren, ihn zum Mitleiden, zur Traurigkeit, zur Liebe bewegen. Ihn rühret nichts. Einem das Herz rühren. Das rührt mich nicht, bringt nicht die geringste Empfindung in meinem Gemüthe hervor. Wenn mein Bitten sein Herz nicht rühren kann. Ich bin zu zärtlich gerührt, als daß ich viel reden könnte. Der Anblick gerührter Freunde richtet uns sehr auf. Ein rührender Anblick, rührende Ausdrücke, eine rührende Predigt. Das war sehr rührend. Er schien über diese Güte so innig gerührt zu seyn, als über sein Unglück. Unser Geist hat einen nothwendigen Hang, sich von jeder Art der Schönheit rühren zu lassen. Schon Ottfried gebraucht es in dieser Figur mehrmahls.

2. Besonders von verschiedenen einzelnen Arten der Bewegung. 1) Von der thätigen Bewegung in gerader Richtung, so fern sie sich bis an ein gewisses Ziel erstrecket, und dasselbe gleichsam in Bewegung setzet. Seine Hand hat uns nicht gerühret, 1 Sam. 6, 9. Die Hand Gottes hat mich gerühret, Hiob 19, 21. So bald ihn der Ostwind rühren wird, Ezech. 17, 10. Wofür man doch jetzt anrühren und berühren gebraucht. Nach einer noch weitern Figur ist es noch in einigen Fällen für treffen üblich. Von dem Blitze, von dem Donner gerühret werden. Von dem Schlage (Apoplexia) gerühret werden. Ingleichen für schlagen. Die Trommel, das Spiel rühren. 2) Von einer kreisförmigen Bewegung, doch nur so fern sie alle Theile eines Körpers in Bewegung setzet. Den Brey rühren. Zwey Dinge unter einander rühren. In etwas rühren. Besonders in den Zusammensetzungen aufrühren, einrühren, umrühren. In einigen Gegenden wird auch das Buttern rühren genannt. 3) In der Landwirthschaft ist das Rühren die dritte, oder bey einigen die zweyte Art des Pflügens zur Wintersaat, da der gebrachte oder gewendete Acker mit dem Rührhaken oder Hakenpfluge der Quere nach überfahren wird, welches an einigen Orten auch hakenpflügen, balkenstreichen, quieren, und wenn man sich statt des Hakenpflüges des gewöhnlichen Pfluges bedienet, vierähren oder vierahrten genannt wird, siehe diese Wörter. Den Acker rühren. Es scheinet hier ehedem pflügen, wühlen, graben u. s. w. überhaupt bedeutet zu haben, und im Wend. ist roju noch aufwühlen. Daher das Rühren. S. auch Rührung.

Anm. Im Isidor chihruoran, hriran, bey dem Ottfried und Notker ruoren, bey dem Ulphilas reiran, bey den heutigen Oberschwaben ruaren, im Nieders. rören, im Schwed. röra, Isländ. reira, im Angelsächs. hreoran, Griech.ορωρειν. Auch im Arab. ist raraa die Augen bewegen. Aus der Endsylbe -ren erhellet schon, daß es ein Intensivum oder Frequentativum von einem veralteten Zeitworte ruhen, rahen, rohen ist, bewegen und beweget werden, welches auch unserm regen, Ruhe, und dem Nieders. raken, rühren, bewegen, zum Grunde liegt, und in dem Lat. ruo, ruere, und dem Arab. raea, sich bewegen, noch unverändert vorhanden ist. Mit veränderten Endlauten in der Stammsylbe gehören auch reden, bewegen, reiten, rahmen, reinen, riesen, reisen u.s.f. zu dieser Verwandtschaft.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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