Vergehen

Vergehen

Vergehen, verb. irreg. welches in doppelter Gestalt vorkommt.

I. Als ein Reciprocum, sich vergehen, fehl gehen, irre gehen. 1. * Eigentlich, in welcher Bedeutung es im Hochdeutschen veraltet ist. Das manch Mensch sich darin verging, Hans Sachs.


Ich habe dieses neue Jahr

Nicht, wie es billig, angefangen,

Und mit der Sünder leichten Schaar

Von deinem Wege mich vergangen,

Gryph.


Bey den Schlesischen Dichtern kommt es in dieser Bedeutung mehrmahls vor. 2. Figürlich, einen sittlichen Fehler begehen, aus Übereilung oder Unachtsamkeit wider ein sittliches Gesetz handeln, wodurch es sich von versehen unterscheidet. Sich im Zorne vergehen. Sich im Trunke vergehen, zu viel trinken und aus Trunkenheit sündigen. Sich wider jemanden vergehen, ihn aus Unachtsamkeit oder Übereilung beleidigen. Sich mit Worten wider ihn, oder auch wohl an ihm vergehen. Sich thätlich wider jemanden vergehen, sich an ihm vergreifen. Du hast dich gröblich wider das Gesetz vergangen. Daher das Vergehen und die Vergehung, nicht allein von dieser Handlung, sondern auch von solchen Fehlern und Übereilungen selbst, da sie denn auch den Plural leiden. Jemanden seine Vergehungen oder Vergehen verzeihen. In weiterer Bedeutung wird auch wohl eine jede Übertretung eines Gesetzes, so fern man sie aus Glimpf aus einer Übereilung herleitet, mit dem Zeitworte vergehen und den davon abgeleiteten Hauptwörtern ausgedruckt.

II. Als ein Neutrum, mit dem Hülfsworte seyn, vorbey gehen, in die Ferne gehen. 1. * Eigentlich; eine jetzt veraltete Bedeutung, in welcher es ehedem auch active mit der vierten Endung der Person gebraucht wurde. In diesem Verstande hat schon Ottfried firgehan, und Notker irgehan, für praeterire. In weiterm Verstande heißt es bey den Schwäbischen Dichtern, diu Zit vergat mih, die Zeit vergehet mir, diu Wunne vergat mih, gehet bey mir vorbey. In dieser thätigen Form ist es im Hochdeutschen veraltet. 2. In weiterer und figürlicher Bedeutung. (1) Sich dem Gesichte, und in weiterm Verstande, der Empfindung nach und nach entziehen, und dadurch sein scheinbares Daseyn verliehren; wo verschwinden eine größere Geschwindigkeit ausdruckt. Der Nebel, der Rauch vergehet. Die Wolken sind vergangen. Der Fleck auf der Haut vergehet, ist vergangen. Der Schmerz vergehet. Alle Kraft ist mir vergangen. Das Gesicht vergehet mir, wenn die Kraft zu sehen nach und nach abnimmt. Hören und Sehen möchte einem darüber vergeben. Besonders von der Zeit und ihren Theilen. Die Zeit vergehet geschwinde. Das Jahr ist vergangen. Ehe ein Monath vergehen wird. Da die sieben Tage vergangen waren, 1 Mos. 7, 10. Da der Sabbath vergangen war, Marc 16, 1. Die Nacht ist vergangen, und der Tag ist herbey kommen, Röm. 3, 12. In einigen gemeinen Sprecharten wird daher das Mittelwort, als ein Bey- und Nebenwort, auch von einer jüngst vergangenen Zeit gebraucht. Vergangene Woche, oder in vergangener Woche, vorige Woche. Im vergangenen Jahre, im vorigen. Vergangen, als ich ihn sprach, neulich, vor kurzem. Ich hab ihn vergangen gesprochen, neulich. Die Niedersachsen gebrauchen dafür auch verleden, andere Hochdeutsche aber verwichen. (2) Aufhören zu existieren, besonders nach und nach aufhören, als ein sehr allgemeines und unbestimmtes Wort, daher man es nur noch in einigen Fällen gebraucht, wo die nähere Art und Weise entweder nicht bestimmt werden soll, oder nicht kann. Sein Gedächtniß wird vergehen, Hiob 18, 17. Alles Fleisch würde mit einander vergehen, Hiob 34, 15. Himmel und Erde werden vergehen. Dieß Geschlecht wird nicht vergehen (untergehen), Matth. 24, 34. Er vergehet in seinem Elende. Man möchte vor Ärgerniß, vor Gram vergehen. Von einer Person, welche an Gesundheit und Kräften merklich abnimmt, sagt man, sie vergehe, wie ein Schatten.

Anm. Im Niedersächsischen bedeutet sich vergehen, so wie das Oberdeutsche sich ergehen, auch, spatzieren gehen, sich eine Veränderung durch Gehen machen.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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