Wahr (2)

Wahr (2)

2. Wahr, adj. et adv. Comparat. wahrer, Superl. wahrste. 1. Wirklich, in welcher Bedeutung es doch nur als ein Adverbium üblich ist, und auch in dieser Gestalt nur noch in wenig Fällen gebraucht wird. Besonders als ein Schwur: so wahr ich lebe! so wahr Gott ist! so wahr ich hier stehe! u.s.f. Wohin auch die Betheurungs-Formel Fürwahr zu gehören scheinet, S. dasselbe. 2. Dem Begriffe des folgenden Substantives genau angemessen; nur als ein Adjectiv. Er ist ein wahrer Freund. Die wahre Tugend. Ich habe mir wahre Vorwürfe zu machen. Thränen der Tugendhaften sind die wahren Lobreden der Verstorbenen. Besonders 3. ächt, wirklich, nicht scheinbar, im Gegensatze des falsch; auch nur als ein Adjectiv. Der wahre Gott, zum Unterschiede von falschen und erdichteten. Seinen wahren Nahmen verbergen. Die einige wahre Religion. Der wahre Glaube, die wahre Glückseligkeit, die wahre Liebe u.s.f. Ingleichen als ein Substantiv. Das Wahre von dem Falschen unterscheiden. 4. Mit der Sache selbst übereinstimmig, von Reden und Aussprüchen; die gangbarste Bedeutung, in welcher es sowohl als ein Adjectiv, als auch als ein Adverbium, gebraucht wird. Etwas für wahr halten, annehmen. Sie reden sehr wahr. Ein wahrer Satz, Ausspruch u.s.f. Es ist wahr, daß ich ihn gestern sahe. Nicht wahr? eine in der vertraulichen Sprechart übliche elliptische Formel, nach der Wahrheit einer Sache zu fragen. Nicht wahr, der gnädige Herr will kommen? Nicht wahr, du hast es gehört? Für, ist es nicht wahr? Es ist etwas wahres an der Sache. Mit der Verneinung, es ist nicht wahr, ist es in den meisten Fällen zu hart und ungesittet; daher man dafür lieber ungegründet gebraucht. 5. In engerer Bedeutung, ist wahr in den bildenden Künsten, mit dem Originale übereinstimmig, und in weiterm Verstande, der Natur genau angemessen. Ein wahres Portrait, welches dem Urbilde genau gleicht. 6. In einer andern engern Bedeutung ist wahr einer vorher gegangenen Versicherung angemessen; wo es doch nur als ein Adverbium, und auch hier nur mit den Verbis machen und werden, gebraucht wird. Etwas wahr machen, erfüllen. Es ist wahr geworden, ist eingetroffen.

Anm. 1. Aus der einfachen Beschaffenheit dieses Wortes, welches keine Spur einer Ableitung zeiget, erhellet schon dessen Alterthum, und wirklich findet es sich schon gleich bey dem Anfange der Schrift in Deutschland völlig gangbar; im Isidor und Kero uuaar, uuar, chiuuari; daher Wachter sehr irrete, wenn er es von dem Lateinischen verus ableitete. Zu der Zeit, da dieses Wort im Deutschen schon allgemein gangbar war, war die Bekanntschaft mit Roms Sprache noch zu jung, als daß es aus derselben hätte aufgenommen werden können; gesetzt auch, daß es den Deutschen bis dahin an dem Begriffe und einem Ausdrucke für denselben gefehlet hätte, welches doch sehr unwahrscheinlich ist. Wahr und verus stammen vielmehr, wie so viele andre alte Wörter, aus einer und eben derselben gemeinschaftlichen ältern Quelle her. Da wahr in seinen heutigen Bedeutungen etwas abstractes bezeichnet, so erhellet schon daraus, daß diese nicht die ursprüngliche seyn kann, Welche es aber ist, läßt sich bey dem hohen Alter des Wortes nur muthmaßen. Vermuthlich ist es das vorige wahr, von wahren, sehen, so daß wahr eigentlich augenscheinlich bedeuten würde. Auf ähnliche Art bedeutet das Griech. άληθης eigentlich unverdeckt, unverborgen. Vielleicht gehören auch das Imperfect von seyn, ich war, so wie werden, mit zu der Verwandtschaft. Ehedem bedeutete wahr auch gut, in welchem Verstande es noch mehrmals bey dem Ottfried vorkommt: ist iz ubil odo uuar, gut oder böse.

Anm. 2. Eigentlich leidet der Begriff des Wahren keine Steigerung, außer allenfalls in der ersten Bedeutung; daher wird es auch nur selten comparirt. Das allerwahrste wahr, Opitz. Ihr sollt sehen, daß ihr wahrere Freunde in uns findet, als an euch selbst, Weiße.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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