Wahrnehmen

Wahrnehmen

Wahrnêhmen, verb. irregul. act. S. Nehmen. 1. Gewahr werden, erblicken. Etwas an jemanden wahrnehmen. Er ging weg, ohne daß jemand es wahrgenommen hätte. Den Feind von ungefähr wahrnehmen. Er hat sie schon an ihrem Fenster wahrgenommen, Gell. Das Wild nimmt den Jäger wahr, wenn es ihn erblickt. Ich habe eine große Beängstigung in ihrem Gesichte wahrgenommen. Wo es im Oberdeutschen auch wohl mit dem Genitiv verbunden wird. – Nimmt seines Meisters wahr, Opitz. 2. In weiterer Bedeutung, obgleich seltener, durch die Sinne empfinden. Eine Musik, einen Geruch wahrnehmen. Ich nahm es nicht wahr, daß mich etwas stach. Ingleichen, so viel als ersehen, erkennen. Ich habe aus diesem Briefe wahrgenommen, daß u.s.f. 3. Nach vorher gegangener Beobachtung gewahr werden, bemerken; eine im Hochdeutschen veraltete, wenigstens seltene Bedeutung, in welcher es im Oberdeutschen auch mit dem Genitiv gebraucht wird. Herr, nehmt daran der Kunst wahr, Theuerd. 4. * Betrachten im Hochdeutschen gleichfalls veraltet; im Oberdeutschen gern mit dem Genitiv. Nehmet wahr der Raben, der Lilien auf dem Felde, Luc. 12. 5. * Wahrnehmen, um sich davor zu hüten, im Oberdeutschen gleichfalls mit dem Genitiv; im Hochdeutschen wo nicht veraltet, doch wenigstens selten. Nehmt der heißen speys eben wahr, Theuerd. 6. Sorge für etwas tragen, mit dem Genitiv; im Hochdeutschen mehr in der dichterischen Schreibart, obgleich das Wort selbst nichts anschauliches hat, als in der Sprache des gesellschaftlichen Umganges.


Nimm meines Lebens gnädig wahr,

Gell.


Du trauest dir zu viel, nimm deiner Wohlfahrt wahr,

Schleg.


7. * Wahrnehmen, um es zu befolgen; mit dem Genitiv, im Hochdeutschen aber veraltet.


Mein Herze nimmt nur deiner Satzung wahr,

Opitz.


8. Wahrnehmen, um sich dessen zu bedienen, sowohl mit dem Accusativ, als mit dem Genitiv. Die oder der Zeit wahrnehmen, sich selbige zu Nutze machen. Ich nehme dieser Gelegenheit wahr, mir ihre Gewogenheit zu erbitten, Hermes.

Daher die Wahrnehmung, S. solches besonders.

Anm. Das Wort ist alt, und lautet schon bey dem Ottfried u.s.f. uuar neman. Wahr ist hier das noch in gewahr übliche Wort, welches sehend bedeutete, und wovon man auch das noch im Oberdeutschen gangbare Verbum wahren, wahrnehmen, sehen, erblicken, hatte. Bey den Jägern ist dafür noch gewahr nehmen üblich, und Ottfried gebraucht dafür auch uuare tuon. Wahrnehmen und gewahr werden sind völlig gleich bedeutend, obgleich das erstere ursprünglich mehr eigene Thätigkeit als das letztere bezeichnet, welcher Unterschied aber wegen seiner Feinheit nicht beobachtet wird. Was die Construction betrifft, so ist der Genitiv nicht einer oder der andern Bedeutung eigen, sondern in allen Bedeutungen eine Eigenheit der Oberdeutschen Mundarten, welche denn zuweilen auch noch im Hochdeutschen beybehalten wird, obgleich hier der Accusativ am gangbarsten ist. Wegen der Vieldeutigkeit dieses Wortes, und da die eigentliche Bedeutung nicht allemahl aus dem Zusammenhange ersehen werden kann, hat man einige Bedeutungen im Hochdeutschen veralten lassen. Übrigens wird wahrnehmen mit allem Rechte als ein zusammen gesetztes Wort betrachtet, indem wahr für sich allein nicht mehr gangbar ist; dagegen gewahr werden richtiger getheilet wird.


http://www.zeno.org/Adelung-1793. 1793–1801.

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  • wahrnehmen — V. (Mittelstufe) etw. mit den Sinnesorganen empfinden Synonyme: bemerken, gewahren (geh.) Beispiele: Das menschliche Auge kann etwa 400 000 verschiedene Farben wahrnehmen. Sie hat einen leichten Geruch nach Thymian wahrgenommen. wahrnehmen V.… …   Extremes Deutsch

  • Wahrnehmen — Wahrnehmen, 1) gewahr werden, erblicken; 2) mit den Sinnen empfinden, bemerken; 3) nach vorhergegangener Beobachtung bemerken; 4) auf etwas achten, um sich davor zu hüten, um es zu befolgen, od. zu benutzen …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Wahrnehmen — Wahrnehmen, seemännisch soviel wie in Empfang nehmen …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • wahrnehmen — 1. ↑apperzipieren, ↑perzipieren, 2. registrieren …   Das große Fremdwörterbuch

  • wahrnehmen — Vst wahren …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • wahrnehmen — wahrnehmen: Das Verb (mhd. war nemen, ahd. wara neman) enthält als ersten Bestandteil das unter ↑ wahren behandelte Substantiv »Wahr« »Aufmerksamkeit, Acht, Obhut, Aufsicht«. Es bedeutet demnach eigentlich »in Aufmerksamkeit nehmen, einer Sache… …   Das Herkunftswörterbuch

  • wahrnehmen — [Basiswortschatz (Rating 1 1500)] Auch: • bemerken • sich klar machen Bsp.: • Ich habe nicht bemerkt, wie sie angezogen war. • Ihr Mann bemerkte nicht, dass sie ein neues Kleid trug. • Mir war nicht klar, dass er Deutscher ist …   Deutsch Wörterbuch

  • wahrnehmen — wa̲hr·neh·men (hat) [Vt] 1 etwas wahrnehmen etwas mit den Sinnen (also durch Hören, Sehen usw) zur Kenntnis nehmen <einen Geruch, ein Geräusch, einen Lichtschein wahrnehmen> 2 jemanden wahrnehmen jemanden beachten: Niemand nahm den Besucher …   Langenscheidt Großwörterbuch Deutsch als Fremdsprache

  • wahrnehmen — perzipieren; realisieren; mitbekommen (umgangssprachlich); merken; zur Kenntnis nehmen; registrieren; sehen; erblicken; hören; vernehmen; …   Universal-Lexikon

  • wahrnehmen — 1. bemerken, erkennen, feststellen, mitbekommen, Notiz nehmen, registrieren, spüren, zur Kenntnis nehmen; (österr.): ausnehmen; (geh.): erspüren, gewahren, gewahr werden; (bayr., österr. ugs.): gneißen; (Philos., Psychol.): perzipieren. 2.… …   Das Wörterbuch der Synonyme

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